Untersuchungsbericht über in den Medien dargestellte Vorgänge in dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und deren Auswirkung auf die Funktionsweise des Amtes

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Dr. Karl Heinz Gasser 99096 Erfurt, den 23.00.2000
Rechtsanwalt Steigerstraße 24
35390 Gießen Nordanlage 37
Untersuchungsbericht über in den Medien dargestellte Vorgänge in dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und deren Auswirkung auf die Funktionsweise des Amtes
Vorbemerkung
Der Unterzeichner wurde am 13.06 2000 von der Leitung des Thüringer Innenministeriums mündlich und unter dem 20.06.2000 schriftlich beauftragt, in der Presse und anderen Medien dargestellte Vorgänge in dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: LA/) und deren Auswirkung auf die Funktionsweise des Amtes zu untersuchen.
Die Vorarbeiten für die Untersuchung begannen am 13.06.2000, die Ermittlungen wurden am 22.08.2000 abgeschlossen.
Die Medien hatten über Pannen, Indiskretionen, Personalquerelen und Grabenkämpfe innerhalb des Amtes berichtet und die Funktionsfähigkeit des LfV in Frage gestellt. In der Sendung des ZDF „Kennzeichen D“ am 07.06.2000 wurde zudem über eine Zusammenarbeit des LfV mit dem führenden Rechtsextremisten Thomas Dienel und dessen Honorierung durch das Amt berichtet. In die Öffentlichkeit gelangten auch Informationen und Mutmaßungen über die Heron-Verlagsgesellschaft mbH Erfurt (im Folgenden: Heron-Verlag) und dessen Verbindungen zu dem LfV. Nach dem Bericht des ZDF wurde der Präsident des Amtes, Herr Dr. Roewer, vom Dienst suspendiert.


1. Inhalt des Auftrages
Der Auftrag des Unterzeichners besteht gemäß der schriftlichen Bestellung vom 20.06.2000 in „der Untersuchung von Einzelvorgängen und deren Auswirkung auf die Funktionsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz“. Der Untersuchungsauftrag bezieht somit alle in den Medien geschilderten Vorgänge und deren Ursachenermittlung einschließlich ggf. erforderliche Abhilfevorschläge ein. Disziplinarische Vorermittlungen etc. sind von dem Auftrag nicht umfasst.
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2. Durchführung der Untersuchung, Vorgehensweise
Um ein möglichst zutreffendes Bild über die in der Öffentlichkeit dargestellten Vorgänge und den Zustand des LfV zu gewinnen, wurden auf der Grundlage eines erarbeiteten Fragekataloges mit – soweit ersichtlich – allen Mitarbeitern des Amtes einschließlich der aus dem Bereich der Polizei abgeordneten Ob-servanten Gespräche geführt. Außerdem mit vier Mitarbeitern des Innenministeriums, die mit der Aufsicht über das Amt befasst waren oder sind sowie mit der für den Heron-Verlag tätigen Mitarbeiterin Frau K.. Vor Beginn der Gespräche wurden die Befragten ausführlich über den Arbeitsauftrag des Unterzeichners informiert und darüber, dass es sich nicht um Vorermittlungen oder disziplinarische Ermittlungen handele und sie keine Angaben über Dinge machen müssten, die für sie nachteilig sein könnten. Den Befragten wurde außerdem Vertraulichkeit zugesichert. Dies war zwingend erforderlich, um den Untersuchungsauftrag erfüllen zu können. Die für die Anfertigung des vorliegenden Berichts erstellten Gedächtnisnotizen des Unterzeichners über die geführten Gespräche sind somit für sonstige Ermittlungen und Verfahren nicht verwertbar.
Die Personalakten der Mitarbeiter des Amtes standen dem Unterzeichner aufgrund rechtlicher Probleme nicht zur Verfügung.
An schriftlichen Unterlagen wurden die veröffentlichten Verfassungsschutzberichte für die Jahre 1992 bis 1999 sowie sechs Ordner über die Tätigkeit Dieneis für das Amt ausgewertet. Sieben Ordner mit Werkverträgen wurden gesichtet und die in dem Heron-Verlag erschienenen Druckwerke „Demokratie im Diskurs“ (5 Bände), „Weimar Erinnert – Die Parallelaktion“ (ein Kalender) sowie ein Videofilm „Jugendlicher Extremismus mitten in Deutschland – Szenen aus Thüringen“ wurden einer Prüfung unterzogen. Das seitens des Amtes herausgegebene Druckwerk „Nachrichtendienst“ wurde anhand einer Reihe von Exemplaren durchgesehen. Die wichtigsten Geschäftsunterlagen des He-ron-Verlages (eine Gründungsakte und eine Verfahrensakte), die sich nach Angaben von Herrn Dr. Roewer in seinem Panzerschrank befinden sollten, waren dort nicht auffindbar. Die sonstigen Geschäftsunterlagen des Heron-Verlages befinden sich nach Angaben der Mitarbeiterin des Verlages Frau K. in deren Wohnung. Diese wurden nicht gesichtet. Hier müsste zunächst eine komplette Auflistung und ordnungsgemäße Übergabe der Geschäftsunterlagen vor Ort erfolgen. Der Unterzeichner konnte diese daher nicht einsehen. Im Übrigen sind in diesem Bereich nach den getroffenen Feststellungen ohnehin zusätzliche Untersuchungen erforderlich, mit denen der Landesrechnungshof beauftragt werden sollte.
3. Gründung, Aufgaben, Entwicklung und heutige Struktur des LfV
Das Amt wurde durch das Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) vom 29.10.1991, verkündet am 05.11.1991, errichtet. Es untersteht als obere
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Landesbehörde unmittelbar dem Innenministerium. Die Aufgaben des Amtes sind in § 2 Abs. 1 ThürVSG festgelegt. Nach dieser Vorschrift ist Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben;
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht;
Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes.
Das LfV beobachtet in den gesetzlich festgelegten Feldern. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Ob das Betreiben des Heron-Verlages, auf den unter Ziffer 7 des Berichtes eingegangen wird, von dieser Aufgabenfestlegung des Gesetzes umfasst war, ist fraglich.
Die Zahl der Mitarbeiter des LfV betrug zunächst Anfang 1992 13 und stieg bis Ende 1992 auf 40 Mitarbeiter an. Nach den damaligen Vorstellungen war ein Ausbau auf 120 Mitarbeiter vorgesehen. Das LfV war zum Zeitpunkt der Errichtung in vier Abteilungen mit folgenden Zuständigkeiten gegliedert:
Abt. 1 Zentralabteilung für rechtliche Grundsatzfragen, Personal-
angelegenheiten, Haushalt, Organisation, Informationstechnik und G10-Angelegenheiten
Abt. 2 Beschaffung und Observation
Abt. 3 Auswertung
Abt. 4 Spionage/Sabotageabwehr und Geheimschutz.
Das Amt war in den Anfangsjahren auf mehrere Liegenschaften verteilt. Die Zahl der Mitarbeiter betrug im Jahre 1994 68 und im Jahre 1995 76. Die Haushaltsmittel stiegen von 4.229.300,- DM im Jahre 1992 auf 7.219.958,03 DM im Jahre 1995. Im Jahre 1996 wurden die verschiedenen Liegenschaften aufgegeben und das Amt wurde in der Haarbergstraße 61 in Erfurt zusammengeführt. Die Organisationsstruktur des Amtes wurde grundlegend geändert und die bisherige Aufteilung in Zentrale Dienste, Auswertung, Beschaffung und
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Spionageabwehr wurde durch eine heute noch bestehende Gliederung in drei Abteilungen abgelöst. Diese sieht wie folgt aus:
Abt. 1 Verwaltung
Abt. 2 Politischer Extremismus
Abt. 3 Nachrichtendienste/Geheimschutz.
Zur Begründung wurde in dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1996 (Seite 8) angegeben, die Gliederung der Fachabteilungen orientiere sich an den beiden unterschiedlichen Beobachtungsfeldern des politischen Extremismus und dem der fremden nachrichtendienstlichen Tätigkeiten. Die klassische Zweigliederung in Beschaffung und Auswertung aufzugeben, sei angesichts des knappen Personalbestands des Amtes und unter dem Gesichtspunkt der Effektivitätssteigerung sinnvoll erschienen.
Das LfV weist für das Jahr 2000 ein Gesamthaushaltsvolumen in Höhe von 9.701.300,- DM auf. Es verfügt über 60 Beamtenstellen, 17 Angestelltenstellen, 2 Stellen für Beamte z. A. sowie 2 Stellen für Auszubildende. Darüber hinaus sind aus dem Bereich der Polizei derzeit 19 Mitarbeiter im Wege der Abordnung in dem Amt tätig.
Bei den Recherchen hat sich ergeben, dass das Organigramm des Amtes (Datum 20.06.2000) in wesentlichen Punkten die tätsächliche Organisation nicht wiedergibt, irreführend ist und selbst die Referatsleiter zum Teil falsch aufgeführt sind. Ein Geschäftsverteilungsplan des Amtes existiert It. eines Schreibens des Präsidenten des Amtes vom 08.03.2000 an das Thüringer Innenministerium bisher nicht.
Die Befragungen haben folgende tatsächliche Organisationsänderungen gegenüber dem Organigramm vom 20.06.2000 ergeben: Das Referat 14 (Observation, Technik, Personenschutz) ist aufgelöst. Die Observationskräfte sind auf die beiden Fachabteilungen verteilt und führen neben Observationsaufgaben zusätzliche Ermittlungs- und Auswertungstätigkeiten durch. Das Referat 22 (Rechtsextremismus) ist seit September 1999 nicht mehr existent. Die Aufgaben des Referats wurden von dem neu gebildeten Referat 25 (Neue Formen des Extremismus) mitübernommen. Im Übrigen ist die interne Aufgabenverteilung innerhalb des Referats 25 für die Mitarbeiter unklar. Einzelne gehen davon aus, dass innerhalb des Referats „Arbeitsgruppen“.weiterbestehen. (Anmerkung: Derartige Arbeitsgruppen wurden offenbar bei Errichtung des Referats 25 durch mündliche Anweisung des Behördenleiters gebildet und hatten Berichte über die von ihnen bislang wahrgenommenen Aufgabenfelder zu erstellen, um den Referatsleiter 25 kundig zu machen. Diese Arbeitsgruppen wurden dann nicht aufgelöst, so dass eine klare Aufgabenzuteilung einschließlich einer Vertretungsregelung bislang nicht vorhanden ist). Darüber hinaus wurde das Referat 24 (Forschung und Werbung) seitens des Behördenleiters aufgelöst, angeblich aufgrund eines persönlichen Konflikts zwischen dem Referatsleiter und dem Behördenleiter. Es handelt sich hier unrein ganz wesentliches Referat, da die-
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sem die Werbung von Quellen zukommt und diese Aufgabe nur von besonders ausgesuchten und geschulten Spitzenkräften wahrgenommen werden kann. Die Aufgaben dieses Referates sind derzeit auf die einzelnen Referate der beiden Fachabteilungen verteilt. Dem Unterzeichner ist nicht bekannt, ob die angeführten Organisationsveränderungen der Fachaufsichtsbehörde mitgeteilt worden sind und deren Genehmigung eingeholt wurde.
4. Situation des Amtes, Ursachen
Das Amt befindet sich derzeit in einem labilen Zustand, die Funktionsfähigkeit ist in Teilbereichen gestört. Bei den Mitarbeitern ist eine deutliche Unruhe, mangelnde Motivation und z. T. sogar Angst vorhanden. Viele sind insbesondere darüber bestürzt, dass Interna des Amtes nach außen gelangt sind und dies – wie sich den einschlägigen Presseberichten entnehmen lässt – weiterhin geschieht. Das Amt ist durch Gruppierungsbildungen gespalten. Innerhalb des Amtes lassen sich zwei Gruppierungen feststellen, die sich bekämpfen und ihre Auseinandersetzungen durch gezielte Informationen an die Medien fortsetzen. Mehrheitlich wird berichtet, dass nach der Suspendierung des Behördenleiters eine gewisse Beruhigung eingetreten ist.
Die Untersuchungen haben ergeben, dass seit Jahren innerhalb des Amtes Spannungen in erheblichem Maße vorhanden waren, die letztlich eskalierten. Diesen ist nicht rechtzeitig entgegengesteuert worden, man kann eher von dem Gegenteil sprechen. Es verwundert, dass sich die Spannungen nicht zu einem viel früheren Zeitpunkt entladen haben. Die Ursachen für die internen Konflikte sind vielfältig. Sie müssen zwingend und konsequent beseitigt werden, da ansonsten die Auseinandersetzungen innerhalb des Amtes weitergehen werden.
Die Feststellungen darüber, wer Informationen aus dem internen Bereich des Amtes nach außen übermittelt hat, lassen sich nicht einer bestimmten Person zuordnen. Auch in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Geheimnisverrats dürfte dies nicht möglich sein, da die jeweiligen Medienmitarbeiter sich aller Voraussicht nach auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach der Strafprozessordnung berufen werden. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich jedoch konstatieren, dass die an die Medien gelangten Informationen über eine Zusammenarbeit des Amtes mit Dienel und die Informationen über den Heron-Verlag aus dem Bereich des Amtes und einer der dort vorhandenen Gruppierungen herrühren. Hierfür sprechen sowohl eine Analyse des Inhalts als auch die Interessenlage der jeweiligen Gruppierung zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen.
4.1
Das Amt war nach Einschätzung Sachkundiger im Jahre 1992/93 unter Zugrundelegung der Anforderungen zur damaligen Zeit voll funktionsfähig, wenn auch auf Dauer personell unterbesetzt. Die jetzt vorhandene Personalausstattung dürfte ausreichend sein, sofern nicht zusätzlicheAufgaben (z. B. Organisierte Kriminalität) hinzukommen sollten. Die seit Jahren unbesetzte Stelle des Abtei-
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lungsleiters 3 (Nachrichtendienste/Geheimschutz) muss zeitnah besetzt werden. Bislang wurde die Funktion des Abteilungsleiters von dem Behördenleiter selbst in Personalunion wahrgenommen, was als keine gute Lösung anzusehen ist.
Der derzeit suspendierte Präsident des LfV übernahm im Jahre 1994 die Leitung des Amtes. Nach den während der Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen muss davon ausgegangen werden, dass nach einer ruhigen – nicht von internen Auseinandersetzungen belasteten – Phase ab Anfang 1996 eine Änderung eintrat. Dies hatte mehrere Gründe. Das bisher auf mehrere Liegenschaften verteilte Amt wurde in dem Gebäude in der Haarbergstraße 61 in Erfurt zusammengeführt. Damit verbunden war naturgemäß eine deutlich intensivere Dienstaufsicht durch den Behördenleiter. Zudem wurde die organisatorische Gliederung des Amtes von vier Abteilungen in drei Abteilungen geändert. Dabei wurde die klassische Zweigliederung in Beschaffung und Auswertung aufgegeben. Innerhalb des Amtes wurden diese Organisationsänderungen von den aus dem nachrichtendienstlichen Bereich stammenden Mitarbeitern mit Unbehagen registriert und als fachlicher Fehler angesehen. Der fachliche Fehler wurde darin gesehen, dass die Bereiche Beschaffung und Auswertung bei Nachrichtendiensten aus Gründen der Geheimhaltung strikt voneinander getrennt werden müssen. Es mag bei der Kritik auch eine Rolle gespielt haben, dass durch die Konzentration und Neuausrichtung Beförderungsmöglichkeiten entfielen.
Die angeführte organisatorische Änderung war der Beginn einer seitens des Behördenleiters – offensichtlich in enger Abstimmung mit dem seinerzeitigen Innenminister Dr. Dewes – betriebenen Neuausrichtung und Öffnung des Amtes nach außen. Eine Vielzahl der befragten Mitarbeiter des Amtes sprachen von „neuen Ideen“, die der Präsident entwickeln und umsetzen wollte. Bei Nachfragen nach dem Inhalt der neuen Ideen konnte kein Mitarbeiter konkrete Angaben darüber machen, was hierunter zu verstehen sei. Es fielen die Stichworte „Öffnung des Amtes“, „wissenschaftliches Arbeiten“, „Verfassungsschutz 2000″ oder „Multifunktionsbeamte“. Ein Mitarbeiter sprach davon, dass der Behördenleiter zwei Ziele gehabt habe, das Amt zu „sanieren“ und das Amt „selbst zu führen“. Bei dem Unterzeichner ist der Eindruck entstanden, dass die beabsichtigte neue Linie den Mitarbeitern nicht deutlich dargelegt und vermittelt worden ist und dass seitens der Leitung des Amtes vermutlich selbst noch keine klaren Vorstellungen und Grundziele vorhanden waren. Jedenfalls führte dies bei den im nachrichtendienstlichen Bereich geschulten und beruflich tätig gewesenen Verfassungsschützern zur Verunsicherung und in der Folgezeit zu zunehmenden Sicherheitsbedenken und Zweifeln an der fachlichen Qualität der neuen Linie. Man kann hier durchaus von einem außerordentlich risikoreichen Versuch einer Neuausrichtung sprechen, da das Amt keineswegs homogen und gefestigt war und noch zu viele normale Probleme zu bewältigen hatte. Angemerkt sei, dass „neue Ideen“ zu begrüßen sind, dass diese aber zwingend ausformuliert und vermittelt werden müssen, damit die Zielrichtung erkennbar wird. Dies
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ist Grundvoraussetzung dafür, dass die Mitarbeiter hierfür überzeugt und begeistert werden.
Einen weiteren Grund für die entstandenen Konflikte sehe ich darin, dass in personeller Hinsicht grundlegende Fehler bei der Personalauswahl, -struktur und -führung gemacht worden sind. Für das Haushaltsjahr 1996 wurden dem Amt 8 oder 9 Stellen des höheren Dienstes zugewiesen. Zugleich entfielen 10 bis 12 Stellen des gehobenen Dienstes (Anmerkung: Die Stellenangaben variierten erheblich, z. T. konnten oder wollten selbst in der Verwaltungsabteilung tätige Mitarbeiter hierzu keine oder keine genauen Angaben machen). Im Wege einer überregionalen Ausschreibung wurden für die Stellen junge Universitätsabsolventen aus den neuen Bundesländern gewonnen und eingestellt (Anmerkung: Zunächst wohl 7, die beiden weiteren Stellen wurden etwas später besetzt). Die Fachrichtungen ihrer Studiengänge waren sehr unterschiedlich (Pädagogik, Chemie, Geschichte und Volkswirtschaft, Altphilologie und Archäologie etc.). Der Behördenleiter hat in einem Gespräch mit dem Unterzeichner angeführt, dass die personelle Umstrukturierung und die Einstellungen auf Weisung des Ministers Dr. Dewes erfolgten.
Berufs- oder Verwaltungserfahrungen hatten die wissenschaftlichen Angestellten in der Regel nicht. In dem Amt wurde den übrigen Mitarbeitern anfangs offenbar gesagt, dass diese jungen Wissenschaftler als wissenschaftlicher Dienst des Amtes zur Erstellung von Analysen, Grundsatzpapieren etc. eingesetzt werden sollten. In der Folgezeit wurden entgegen der ursprünglichen Darstellung bis zu 5 der wissenschaftlichen Angestellten (Anmerkung: Auch hier variieren die Zahlenangaben aufgrund ständiger interner Änderungen der Referate und Umsetzungen sowie eines nicht vorhandenen Geschäftsverteilungsplanes und keines aktuellen Organigramms) entweder zu ständigen oder kommissarischen Referatsleitern bestellt. Sie hatten damit Vorgesetztenfunktion.
Voraussehbar führte dies zu erheblichen Spannungen innerhalb des Amtes. Die jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter mussten Aufgaben und Führungsfunktionen ohne die erforderlichen Fachkenntnisse und die notwendige Führungskompetenz übernehmen, was nach meiner Einschätzung sowohl gegenüber den jungen Wissenschaftlern als auch gegenüber den anderen Mitarbeitern des Amtes nicht zu verantworten war. Eine Vorbereitung auf ihre Tätigkeit durch Fach- und Führungslehrgänge unterblieb weitgehend. Nach Angaben von Mitarbeitern führte der Präsident durch wöchentliche Treffen mit den wissenschaftlichen Angestellten die Fortbildung selbst durch.
Im Zusammenhang mit der Tätigkeit der wissenschaftlichen Angestellten sind eine Vielzahl ungewöhnlicher Verhaltensweisen geschildert worden, die gegen nahezu alle Grundsätze einer ordnungsgemäßen Personalführung verstoßen. Bei geäußerten fachlichen Bedenken seitens der Sachbearbeiter an Anweisungen der als Referatsleiter eingesetzten wissenschaftlichen Angestellten wandten sich diese hilfesuchend unmittelbar an den Präsidenten, woraufhin kurz darauf durch ihn Disziplinierungsmaßnahmen durch Anruf oder Einbestellen
erfolgten. Zur Illustration sei ein Fall geschildert: Ein Mitarbeiter hatte gegen eine aus seiner Sicht sinnlose Anweisung seiner Referatsleiterin remonstriert. Zwei Stunden später habe der Behördenleiter ihn angerufen und ihm aufgegeben, dass er stündliche Nachweise seiner Arbeit schriftlich fixiere. Dies sei dann für die Dauer von vier Monaten so geschehen.
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter hatten nach den gewonnenen Erkenntnissen jederzeit unter Umgehung ihres Abteilungsleiters und damit des Dienstweges direkten Zugang zu dem Behördenleiter und machten hiervon auch regen Gebrauch. Bei den übrigen Mitarbeitern des Amtes entstand hierdurch der Eindruck der Günstlingswirtschaft sowie ihrer ständigen Bespitzelung und Überwachung. Dies hatte nach den Schilderungen zur Folge, dass sich viele nicht mehr trauten, Probleme offen anzusprechen und es entstand über die Jahre ein Klima des Misstrauens und z. T. der Angst. Als ungewöhnlich ist es auch anzusehen, dass sich der Behördenleiter nach den Schilderungen überwiegend mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern beschäftigte, und mit Ausgewählten häufig zwei bis drei Stunden zum Mittagessen fuhr oder mit diesen abends in seinem Dienstzimmer saß und aus einem dort befindlichen Rotweinfässchen Rotwein trank. Ungewöhnlich dürfte auch sein, dass der Behördenleiter öfters auf dem Flur oder in seinem Dienstzimmer mit auf dem Schreibtisch liegenden nackten Füßen angetroffen wurde. Dem Ansehen von Herrn Dr. Roewer schädlich wurde auch seine als einem Behördenleiter nicht angemessene Kleidung empfunden. Des Weiteren wurde von mehreren Befragten angeführt – dies sei in dem Amt ein offenes Geheimnis gewesen -, dass der Behördenleiter zu der Referatsleiterin 23 nicht die gebührende Zurückhaltung im persönlichen Umgang gewahrt habe.
Es wurde zudem wiederholt angegeben, dass Herr Dr. Roewer insbesondere in den letzten zwei Jahren keine andere Meinung von Mitarbeitern aus dem Lager der nichtwissenschaftlichen Angestellten mehr geduldet habe und auf Einwände in der Regel mit dem Argument reagiert habe, „dies wird so gemacht, weil ich das so will“. Auf das Vorbringen der Mitarbeiter sei er nicht eingegangen. Bei der Durchsetzung seiner Anordnungen habe er immer einen drohenden Unterton gehabt und einige Mitarbeiter auch mit abfälligen Bemerkungen versehen, z. B. „was wollt ihr Schlapphüte, wir sind in Thüringen und machen das anders“ oder sie sollten ihre „Dackelperspektive“ aufgeben. Den Personalrat habe er als „Lulliverein“ bezeichnet.
Dem Unterzeichner wurde anfangs der Befragungen von mehreren Mitarbeitern des Amtes dargelegt, dass es keine Gruppierungen oder Lager innerhalb des Amtes gegeben habe oder gebe. Herr Dr. Roewer selbst führte in einem Gespräch an, von Gruppierungen wisse er nichts. Bei den späteren Befragungen wurde dies nahezu von allen eingeräumt – offenbar hatten sich die Fragen herumgesprochen und die bereits gewonnenen Erkenntnisse -, es wurde jetzt aber z. T. versucht darzulegen, dass es sich lediglich um einen Konflikt zwischen dem Personalrat – und hier insbesondere dem Personalratsvorsitzenden – und dem Behördenleiter gehandelt habe, dessen Auslöser ein Brief des Persona-
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rats an Herrn Minister Köckert gewesen sei. Einige Mitarbeiter des Amtes führten als Gründe der Konflikte seitens des Herrn Dr. Roewer durchgeführte disziplinarische Maßnahmen gegen einen Mitarbeiter des Hauses wegen einer Trunkenheitsfahrt und der Zerstörung eines Dienstkraftfahrzeuges an, wobei der Personalrat diesen Vorfall als weniger gravierend eingestuft haben soll. Des Weiteren habe es Streit zwischen dem Personalrat und Herrn Dr. Roewer gegeben, da der Personalrat einer vorgesehenen Einstellung sowie Beförderungsvorstellungen bzw. Statusveränderungen (Ernennung von wissenschaftlichen Angestellten zu Beamten) nicht habe zustimmen wollen.
Es mag sein, dass diese Vorgänge der äußere Anlass für den Ausbruch und die Eskalation der letztlich öffentlich geführten Auseinandersetzungen waren, die Ursache der Konflikte waren diese mit Sicherheit nicht.
Soweit dies erkennbar ist, sollte die Einstellung der wissenschaftlichen Angestellten zum einen die Qualität der Arbeit des LfV erhöhen und zum anderen die Darstellung des Amtes in der Öffentlichkeit und sein Ansehen durch ein höheres Maß an wissenschaftlicher Qualität verbessern. Dies ist vom Ansatz her nachvollziehbar und als positiv einzustufen. In der Umsetzung ist dieses Ziel nicht erreicht worden, sondern aufgrund vielfältiger fachlicher Mängel und persönlicher Fehler genau das Gegenteil eingetreten.
Ein wissenschaftlicher Dienst des Amtes von ca. 3 Mitarbeitern zur Erstellung von Analysen und Lageberichten hätte durchaus einen Sinn gegeben und die Personalstruktur des Amtes nicht wesentlich beeinträchtigt. Konflikte aufgrund mangelnder fachlicher Kompetenz im klassischen Verwaltungsbereich und aufgrund von Vorgesetzteneigenschaften wären vermieden worden. Vielmehr wurde durch die Einstellung von wohl insgesamt 9 wissenschaftlichen Angestellten und dem dadurch bedingten Verlust von 10-12 Stellen des gehobenen Dienstes die Personalstruktur des Hauses (Einschätzung des Amtes von außen: „Thüringen hat nur noch Häuptlinge und keine Indianer“) massiv gestört und vielen in dem Amt vorhandenen Beamten und Angestellten Beförderungsbzw. Höherstufungschancen genommen. Dies führte nachvollziehbar zu einem hohen Maß an Demotivation bei den hiervon Betroffenen. In der Tat ist es nicht nachvollziehbar, dass die wissenschaftlichen Angestellten nicht gemäß den ursprünglichen Vorstellungen eingesetzt worden sind, sondern im operativen Bereich der Fachabteilungen des Amtes als Referatsleiter und Sachbearbeiter. Damit konnten sie ihren wissenschaftlichen Aufgaben praktisch nicht mehr nachkommen, für den operativen Bereich waren sie aufgrund ihrer Ausbildung und unterlassener Qualifizierungslehrgänge nur sehr bedingt geeignet. Auch die Vielzahl der im Wege von Werkverträgen nach außen vergebenen wissenschaftlichen Arbeiten und der hierbei betriebene finanzielle Aufwand zeigen, dass der Zweck der Einstellung der wissenschaftlichen Mitarbeiter für das Amt verfehlt wurde.
Betrachtet man das zweite verfolgte Ziel der besseren Darstellung des Amtes in der Öffentlichkeit durch wissenschaftliche Qualität, so sind erhebliche Zweifel
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i angebracht, ob dieses erreicht wurde. Die Außendarstellung des Amtes erfolgt durch das Referat 15 (Öffentlichkeitsarbeit, Publikationen, Berichtswesen), so dass dieser Bereich vollständig und ausreichend abgedeckt ist. Für die in dem Heron-Verlag erschienenen Beiträge wäre eine Betreuung durch dieses Referat ausreichend und sichergestellt gewesen (5 Bände der Reihe „Demokratie im Diskurs“, ein Katalog „Weimar Erinnert – Die Parallelaktion“ sowie eine Videokassette „Jugendlicher Extremismus mitten in Deutschland“).
Innerhalb des Amtes sind zusätzlich mehrere Vorgänge kritisch vermerkt worden und wurden als fachliche Fehler und dem Ansehen des Behördenleiters abträglich eingestuft:
In der Presse wurde über eine Demonstration berichtet und der Behördenleiter wurde bei Betätigung einer Kamera bei dieser Demonstration abgelichtet. Das entsprechende Foto wurde veröffentlicht.
Bei der anlässlich der Veranstaltungen zur Kulturstadt Europa 1999 in Weimar von dem Behördenleiter initiierten und durchgeführten Parallelaktion unter Teilnahme des Referatsleiters 31 (Spionageabwehr) an einer öffentlichen Versteigerung wurde der Referatsleiter 31 mit seinem Klarnamen in der Presse dargestellt und es wurde ein Foto von ihm veröffentlicht.
Die Auftritte des Behördenleiters in der Öffentlichkeit, die Veröffentlichungen in der Buchreihe des Heron-Verlages sowie diverse Vortragsveranstaltungen innerhalb des Amtes hätten die Enttarnung von Mitarbeitern des Amtes und die Beziehungen des Amtes zu dem Heron-Verlag befürchten lassen und dem Grunde nach ermöglicht.
Die Observationsgruppe dürfe aus Gründen der Gefahr der Enttarnung nicht in dem Dienstgebäude in der Haarbergstraße 61 ansässig sein, sondern diese müsse außerhalb des Amtes untergebracht werden.
Die Auflösung der Trennung zwischen Beschaffung und Auswertung sei fachlich fehlerhaft, da dies gegen hergebrachte Grundsätze nachrichtendienstlicher Arbeit verstoße („Kenntnis nur, wenn nötig“). Die Auswerter sollten die Quellen nicht kennen.
Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Präsident.des Amtes selbst operativ tätig geworden sei und einen Tarnnamen (Dr. Stephan Seeberg) geführt habe.
Die Fachaufsicht, die dem Innenministerium oblag, war praktisch über Jahre ausgeschaltet. Diese wurde von Herbst 1995 bis April 1998 von der Abteilung 2 des TIM wahrgenommen, danach von der Abteilung 4 des Ministeriums. Es wurde in den Befragungen berichtet, dass der Leiter des Amtes sehr eigenwillige Vorstellungen von seiner Arbeit gehabt habe und einmal wörtlich angeführt habe: „Ich brauche keine Aufsicht“. Dieser habe darauf bestanden, dass
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er ausschließlich unmittelbar gegenüber dem Minister Dr. Dewes berichte, was auch so geschehen sei. Aufgrund einer merkwürdigen besonderen Beziehung zwischen dem Minister Dr. Dewes und dem Leiter des Amtes seien alle Bemühungen erfolglos gewesen, diese Verfahrensweise zu ändern. Herr Dr. Roewer sei bei dem Minister ein- und ausgegangen, ohne dass die Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde des TIM von den Gesprächsinhalten unterrichtet worden seien. Informationen über und aus dem Amt seien daher nicht in das Haus gelangt. Herr Dr. Roewer habe-auf eine geforderte Änderung angesprochen gesagt, die Mitarbeiter der Fachaufsicht sollten sich bei ihrem Minister erkundigen. Dieser habe seine Abteilung aber ebenfalls nicht unterrichtet. Der damalige Staatssekretär Dr. Krämer habe auf Beschwerde der Fachabteilung den Versuch unternommen, dies zu ändern und er habe mit Herrn Dr. Roewer einen Gesprächstermin vereinbaren lassen, jedoch habe Herr Minister Dr. Dewes das Gespräch eine Stunde vor dessen Beginn durch Anordnung unterbunden.
Die Berichte von Herrn Dr. Roewer an die Fachabteilung des Innenministeriums seien zudem eine Zumutung gewesen. Es habe sich hierbei oft um wenige Zeilen mit Hinweisen auf Veröffentlichungen gehandelt. Er habe sich über die Mitarbeiter des TIM, die die Fachaufsicht auszuüben hatten, regelrecht lustig gemacht. Beklagt wurde weiterhin, dass seitens des Amtes zur Vorbereitung der Innenministerkonferenz und des AK IV (Verfassungsschutz) auf Anforderung praktisch nichts geliefert worden sei und auf ununterbrochenes Nachhaken und Insistieren wenig Brauchbares. Die Fachaufsicht habe sich aus anderen Quellen informieren müssen, was schwierig gewesen sei und einen erheblichen Zusatzaufwand erfordert habe. Teilweise seien die Informationen und Papiere aus anderen Bundesländern besorgt worden. Andererseits habe Herr Dr. Roewer ohne Information der Fachabteilung im Vorfeld von AK-Sitzungen eigene Papiere an die anderen Präsidenten der Verfassungsschutzämter geschickt, was dazu geführt habe, dass die Mitarbeiter des Ministeriums in dem Arbeitskreis häufig mit diesen Papieren und seinen Vorstellungen konfrontiert worden seien, ohne diese zu kennen, was peinlich gewesen sei. Das Referat und die Abteilung seien praktisch nicht informiert worden, über operative Dinge habe Herr Dr. Roewer strikt jegliche Angaben verweigert.
5. Zusammenfassende Bewertung
Die Neuausrichtung des LfV in den Jahren 1994 bis 1999 ist misslungen. Soweit die damit verfolgten Ziele und neuen Ideen überhaupt erkennbar sind, wurden sie jedenfalls nicht hinreichend innerhalb des Amtes vermittelt.
Eine Öffnung nach außen, die Erhöhung der wissenschaftlichen Qualität der Arbeit und eine Verbesserung des Ansehens des Amtes in der Öffentlichkeit sind in der Zielrichtung durchaus als positiv einzustufen. Der Versuch der Umsetzung dieser Vorstellungen hat jedoch keinen erkennbaren Nutzen für die Arhpit des Amtes gebracht, vielmehr zu vermeidbaren schwerwiegenden Funk-
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In der Personalauswahl, -struktur und -führung und in der inneren Organisation des Amtes sind gravierende Fehler des Behördenleiters festzustellen, die dazu geführt haben, dass die nachrichtendienstliche Funktionsfähigkeit des Amtes beeinträchtigt war und ist und in dem Amt zwei Gruppierungen im Wesentlichen bestehend aus traditionellen Nachrichtendienstmitarbeitern und jungen wissenschaftlichen Angestellten entstanden sind, die sich intern und über die Medien in der Öffentlichkeit bekämpfen. Ein Teil der Mitarbeiter des Amtes versucht sich dabei neutral zu verhalten. Dem Personalrat und seinem Vorsitzenden ist es nicht gelungen, mäßigend einzuwirken und die Konflikte zu lösen, vielmehr ist zusätzlich zwischen diesem und dem Behördenleiter eine ernsthafte Störung in der Zusammenarbeit eingetreten. Das Auftreten des Behördenleiters innerhalb und außerhalb des Amtes, der Umgang mit den Mitarbeitern, der Führungsstil, die Disziplinierungsversuche, die Bevorzugung der Gruppe der wissenschaftlichen Angestellten und einzelner Personen sowie die persönliche Beziehung zu einer Mitarbeiterin des Hauses haben sein Ansehen schwer beschädigt. Die diesbezügliche Kritik aus dem Hause ist berechtigt.
Zur Wiederherstellung eines ordnungsgemäß arbeitenden Amtes sind personelle Konsequenzen und Organisationsänderungen innerhalb des Hauses zwingend geboten. Es befremdet, dass die Fachaufsicht des Ministeriums faktisch ausgeschaltet war. Ob hier in Anbetracht der Sonderbeziehungen zwischen dem Minister a.D. Dr. Dewes und dem Behördenleiter des LfV die Chance einer Änderung bestanden hätte, bezweifle ich. Die Fachaufsicht muss künftig strikt ausgeübt werden.
Die von einem Teil der Mitarbeiter des Amtes gegenüber den traditionellen Nachrichtendienstmitarbeitern erhobenen Vorwürfe, sie hätten nur ihre eigenen Vorteile/Beförderungen im Auge gehabt, seien gegenüber dem Behördenleiter illoyal gewesen, hätten die neuen Ideen blockiert und hätten den wissenschaftlichen Angestellten nicht die erforderliche Hilfe bei der Einarbeitung in ihre Aufgaben zukommen lassen, waren sehr allgemein gehalten und sind nicht belegt worden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese Kritik von der Tendenz her berechtigt ist und zur Entstehung der Grundstimmung zwischen den Gruppierungen und der gegenseitigen Missachtung beigetragen hat. Ich sehe dies jedoch nicht als Hauptursache der Probleme an, zumal konkrete Belege hierfür ausgeblieben sind. Auch ein bei einzelnen Mitarbeitern anklingender Ost-West-Konflikt dürfte eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben.
Einige Mitarbeiter des Amtes haben während der Gespräche angeführt, dass die Glaubwürdigkeit des Amtes bei Quellen gelitten habe und das Ansehen des Amtes bei dem BfV und den übrigen LfVs schwer beschädigt sei, z. T. sei man dort mit Informationen und Kontakten zurückhaltend geworden. Dies dürfte zutreffend sein und bestätigt die Notwendigkeit einer Reihe von Maßnahmen zur Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit des Amtes.
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6. Vorgang Dienel
6.1
Bei Dienel handelt es sich um einen Rechtsextremisten, der im Spitzenbereich dieser Bewegung anzusiedeln ist. Derzeit spielt er wohl keine entscheidende Rolle mehr. Dienel war nach eigenen Angaben Anfang der 90er Jahre Landesvorsitzender der NPD-Thüringen und 1995/96 u. a. Bundesvorsitzender der Deutsch Nationalen Partei (DNP). Er selbst bezeichnete sich in einem Schreiben vom 18.03.1996, das dem Amt vorlag, als „einen der führenden Neonazis“ der Bundesrepublik Deutschland.
Dienel ist wie folgt vorbestraft:
Bezirksgericht Gera Urteil vom 24.02.1993 2 Jahre 8 Monate Freiheitsstrafe u. a. Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Beleidigung, Volksverhetzung
Landgericht Erfurt Urteil vom 26.05.1994 1 Jahr 6 Monate Freiheitsstrafe wegen Betrug in 9 Fällen, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigung, Anstiftung zu Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung.
Von dem Landgericht Erfurt wurde unter Einbeziehung der Verurteilung aus dem Urteil des Bezirksgerichts Gera eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren unter Einbeziehung der verhängten Einzelstrafen gebildet.
– Landgericht Erfurt Urteil vom 26.08.1996 Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren
und 3 Monaten unter Einbeziehung der verhängten Freiheitsstrafen des Be
zirksgerichts Gera und des Landgerichts Erfurt.
Durch Beschluss des OLG Jena vom 21.12.1995 wurde die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 26.05.1994 wegen günstiger Sozialprognose (?) zur Bewährung ausgesetzt.
Zu dem Vorgang Dienel wurden insgesamt 6 Ordner ausgewertet, ob die Akten vollständig sind, ist nicht bekannt. Bekannt ist aufgrund der Befragung, dass der Referatsleiter 25 auf Anweisung des Präsidenten am 07.06.2000 gegen 22.40 Uhr den Zugang zu dem Amt öffnen ließ und dort 4 Aktenordner (It. Quittung 4 Aktenzeichen) holte und zu Herrn Dr. Roewer verbrachte.
Während der Zeit der Tätigkeit von Dienel für das Amt erfolgten insgesamt 93 dokumentierte Treffen, er erhielt für seine Tätigkeit insgesamt DM 21.980,- und zusätzlich DM 6.800,- an Spesen (Gesamtsumme DM 28.780,- DM). Dienel wurde mit einem Tarnnamen „Küche“ versehen.
Ausweislich der Akten wandte sich Dienel am 18.01.1996 erstmals fernmündlich an das Amt und bat um ein Gespräch. Bei dem ersten Treffen am 23.01.1996 gab Dienel an, er wolle künftig zwar weiterhin als Rechtsextremist
‚S-Kur für den Dienstgebrauch
14
aktiv sein, die Gesetze beabsichtige er aber zu beachten. Vermutlich fürchtete er den Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Reststrafe. Bei dem ersten Treffen führte er ergänzend an, er plane, dem LA/ alle seine Aktivitäten mitzuteilen und erwarte als Gegenleistung, dass er „strafrechtlich beraten werde“. Nach einem Vermerk vom 30.01.1996 des Vizepräsidenten und Abteilungsleiters wurde die Angelegenheit Dienel mit dem Präsidenten am selben Tage erörtert.
6.2
Eine Bewertung der Zusammenarbeit des Amtes mit Dienel ergibt Folgendes:
Nach den gesichteten Unterlagen ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit von Dienel für das Amt im Einverständnis mit der Behördenleitung (Präsident und Vizepräsident/zugleich AL 2) erfolgte und diese über die wesentlichen Punkte unterrichtet worden sind. In einem Schreiben vom 07.06.1996 des Präsidenten des LtV an das BfV wurde mitgeteilt, dass sich Dienel bereits in seiner Strafhaft als Informant mehrfach angedient habe. Die bisherigen Informationen werden als „nützlich und zutreffend“ bewertet. Im Oktober 1996 behauptete Dienel wahrheitswidrig, Kontakte zu der IRA zu unterhalten. Diese Behauptung wurde durch Observation widerlegt. Am 25.11.1996 wurde Dienel seitens des Amtes vorgehalten, dass er unglaubwürdig sei. Aus dem diesbezüglichen Vermerk ergibt sich, dass zwar von seiner nachrichtendienstlichen Ehrlichkeit ausgegangen werde, Alkoholismus und Geltungsbedürfnis jedoch dazu führten, dass er immer häufiger von nicht glaubhaften Kontakten berichte. Am 17.02.1997 suchte Dienel – möglicherweise aus eigenem Antrieb – die Scientology-Nieder-lassung in Hamburg auf und fertigte einen Bericht. Ausweislich eines Vermerks des Referatsleiters 22 vom 03.04.1997 fand zwischen ihm und der Behördenleitung (Präsident/Vizepräsident) ein Gespräch wegen der weiteren Vorgehensweise statt. Es wurde vereinbart, dass seitens des Amtes keine Kontaktaufnahme mehr erfolge und Dienel sich wie jeder andere Bürger an das Amt wenden könne. In diesem Fall könnten auf den Einzelfall bezogene Zahlungen geleistet werden. Danach fanden bis zum 18.07.1997 9 weitere Treffen mit Dienel statt. Im Juni 1997 hatte Dienel Kontakte zur Chinesischen Botschaft behauptet, die an Unterlagen über sein Verfahren wegen Aberkennung seiner Grundrechte interessiert gewesen sein soll. Der Hintergrund dürfte die seinerzeit geführte „Menschenrechtsdiskussion“ mit China gewesen sein. Dienel wurde seitens des Amtes angewiesen, keine Unterlagen herauszugeben. Außerdem hatte Dienel zum damaligen Zeitpunkt Kontakt zur Iranischen Botschaft und wurde von einem Botschaftsangehörigen um Zusendung von Material über jüdische und jüdisch abstammende Personen des öffentlichen Lebens gebeten. Mit der Übermittlung hat Dienel wohl begonnen (Exposees über Gregor Gysi und Helmut Kohl), die weitere Übermittlung wurde ihm offenbar seitens des Amtes untersagt. Des Weiteren sollte Dienel auch Urteile und Beschlüsse gegen Angehörige der rechten Szene sowie indiziertes Material aus dem Bereich des Rechtsextremismus übermitteln.
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Am 14.07.1997 suchte Dienel nochmals die Scientology-Niederlassung in Hamburg auf. In einem Vermerk vom 18,07.1997 bezeichnete der Referatsleiter 22 Dienel als „Spinner und Wichtigtuer“. Dem schloss sich der Vizepräsident/Abteilungsleiter mit der Bemerkung an „so ist es“. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass Dienel nicht von dem LfV geführt werde, d. h. keine Auftragserteilung. Dieser Vermerk ist auch von dem Leiter des LfV abgezeichnet worden. Nach diesem Vermerk erfolgten weitere 10 Treffen, ab dem 22.08.1997 sind keine weiteren Kontakte dokumentiert.
Nach dem Vermerk des Referats 22 vom 18.07.1997 trat auf der Leitungsebene des LfV offenbar ein Umdenken hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit mit Dienel ein. Die hierfür maßgeblichen Gründe waren wohl in erster Linie die Kontakte Dieneis zur Iranischen Botschaft in Bonn. Weiterhin spielte wohl auch eine Rolle, das Dienel als unglaubwürdig eingeschätzt wurde. Dennoch erfolgten nach dem 18.07.1997 noch weitere 9 Treffen mit ihm, was nicht nachvollziehbar ist, die Gründe und die Verantwortlichkeit hierfür ließen sich nicht feststellen. Nach Angaben von Mitarbeitern des Amtes habe der Präsident dies unter Umgehung des zuständigen Abteilungsleiters veranlasst.
Nach der eigenen Einschätzung des Behördenleiters (Schreiben des Präsidenten vom 02.08.1996 an das LKA Thüringen) wurde der Informationsgeber Dienel als „durchschnittlich zuverlässig“ eingeschätzt. Der konkrete Nutzen der Arbeit Dieneis für die Informationslage des Amtes insgesamt lässt sich von außen nicht einschätzen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit Dieneis hatte das Amt seit November 1996, dennoch erfolgten nach diesem Zeitpunkt weitere zahlreiche Treffen (insgesamt 30). Ob hierfür eine Notwendigkeit oder nachvollziehbare Gründe bestanden haben, kann nicht beurteilt werden.
Die weitere Frage, ob Dienel als V-Mann geführt worden ist, als Informant oder Gewährsperson tätig war, lässt sich anhand des Leitfadens Beschaffung der Schule für Verfassungsschutz, Stand 1/91 und den vorliegenden Fakten ermitteln. Nach dem Leitfaden ist Informant, wer unbewusst in Einzelfällen auf Befragen Hinweise gibt („abgeschöpft“ wird). Gewährsperson (GP) ist, wer bewusst (gezielt) in Einzelfällen einem ihm bekannten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hinweise gegen Honorar gibt. Vertrauensmann (VM) ist der geheime Mitarbeiter in den Bereichen Rechts- und Linksextremismus, Ausländerextremismus, Terrorismusabwehr.
Nach diesen Definitionen war Dienel jedenfalls nicht als Informant tätig, da er nicht unbewusst abgeschöpft wurde und zudem Honorare erhielt. Seine Arbeit für das Amt lässt sich – auch aufgrund der Anhörung seines ehemaligen V-Mann-Führers – nur als V-Mann-Tätigkeit einstufen. Dienel war als geheimer Mitarbeiter mit Legende (Tarnnamen Küche) auf Dauer eingesetzt. Er hat Honorare und Spesen in erheblichem Umfang erhalten und wurde nicht nur in Einzelfällen gegen Honorar tätig. Die große Zahl der in einem relativ kurzen Zeitraum (23.01.1996 bis 22.08.1997) erfolgten Treffen (93) und ihm vereinzelt auch erteilte konkrete Aufträge bestätigen seine V-Mann-Tätigkeit für das Amt.
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16
Zu den Grenzen des Einsatzes von VM/CM führt der Leitfaden auf Seite 42 Folgendes aus:
„Er wird nur dort eingesetzt, wo mit „anderen Mitteln der Erkundung mit Rücksicht auf die Erheblichkeit und den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der das öffentliche Wohl gefährdet ist, eine ausreichende Beobachtung nicht mehr sicherzustellen ist“.“
Die gesetzliche Aufgabe des Verfassungsschutzes darf nicht ins Gegenteil verkehrt werden. So dürfen VM nicht am Aufbau extremistischer Organisationen, illegaler Kader in Betrieben, der Gründung und Leitung links- und rechtsextremistischer Terroristengruppen beteiligt sein“.
Vorliegend muss davon ausgegangen werden, dass Dienel durchaus am Aufbau extremistischer Organisationen beteiligt war und auch Spitzenpositionen sowohl in der NPD Thüringen als auch der Deutsch Nationalen Partei (DNP) innehatte. Seine Aktivitäten waren vielfältig (z. B. Aktionskomitee Rudolf Hess 96). Er war zeitweise Spitzenmann der rechtsextremistischen Szene, wobei nicht bekannt ist, ob er zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Tätigkeit für das Amt noch eine Spitzenposition in einer rechtsextremistischen Organisation tatsächlich innehatte. Soweit hier bekannt ist, endete sein Amt als Bundesvorsitzender der DNP Anfang 1996. Ebenfalls hätte nach der in der Öffentlichkeit dargestellten – und dem Amt bekannten – vita des Dienel trotz des von ihm erwarteten Nutzens für die Informationslage des Amtes im Bereich des Rechtsextremismus von einer Zusammenarbeit Abstand genommen werden müssen, da voraussehbar war, dass gegenüber dem Amt der Vorwurf erhoben werden könnte, es führe selbst über einen V-Mann rechtsextremistische Organisationen.
Es konnte während der Untersuchungen nicht festgestellt werden, ob die Fachaufsichtsbehörde des TIM über den Einsatz von Dienel informiert war. Nach den geschilderten Besonderheiten der Ausübung der Fachaufsicht und der seitens des Präsidenten des Amtes eingeführten und durch den Minister a.D. Dr. Dewes gebilligten Praxis, ist davon auszugehen, dass dies nicht der Fall war. Ob Herr Minister a.D. Dr. Dewes persönlich durch den Leiter des Amtes über die Anwerbung und die Tätigkeit Dieneis unterrichtet worden ist, konnte nicht ermittelt werden.
Abschließend ist anzuführen, dass die Tätigkeit Dieneis für das Amt aufgrund seiner vita auch unter Einbeziehung eines erwarteten Nutzens durch Spitzeninformationen für das Amt einen fachlichen Fehler darstellt, der dem Ansehen des Amtes in der Öffentlichkeit geschadet hat. Vorfälle dieser Art müssen künftig durch eine straffe Fach- und Dienstaufsicht zwingend verhindert werden. Es empfiehlt sich, dies in einer Dienstanweisung eindeutig zu regeln und auch darauf hinzuweisen, dass der Dienstweg zwingend einzuhalten ist. In dem vorliegenden Fällhätte zumindest – wenn die Fachaufsicht des TIM nicht ausgeschaltet gewesen wäre – die Aussicht bestanden, dass der Vorgang hätte ver-
VS-iur Er den DisEäSSgsferäurfs 7
7
nindert werden können. Auch aus politiscner öicnt war die Tätigkeit Dieneis für das Amt höchst unsensibel.
7. Vorgang Heron-Verlagsgesellschaft mbH
7.1
Ausweislich der unter dem 04.07.2000 eingeholten Handelsregisterauskunft des
Handesregisters bei dem Amtsgericht Erfurt (HRB 9725) wurde die Heron-Ver
lagsgesellschaft mbH am 16.10.1997 mit einem Stammkapital in Höhe von
50.000,- DM und Sitz Erfurt in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand
des Unternehmens ist ‚,
die Produktion, der Erwerb und der Vertrieb von Druckerzeugnissen sowie der Erwerb, die Nutzung und der Vertrieb von Autoren- und Verlagsrechten.
Geschäftsführer mit unbeschränkter Einzelvertretungsberechtigung ist Herr Stephan Seeberg, Journalist, Erfurt. Es handelt sich hierbei um Herrn Dr. Helmut Roewer unter Verwendung seines Tarnnamens. Die Heron-Verlagsgesellschaft mbH (im Folgenden: Heron-Verlag) ist in dem Branchentelefonbuch „Gelbe Seiten 1999/2000″ für Thüringen unter Verlage eingetragen, ebenso in dem Telefonbuch „Das Örtliche“ 1999/2000 für Erfurt und Umgebung. Der Heron-Verlag verfügt über einen Internetanschluss und eine Homepage. Auf dieser ist u. a. als eMail-Adresse angegeben „Ch. KOCH EF@ t-online.de“. Die Postanschrift lautet auf Albrechtstraße 43, 99092 Erfurt. Frau K, ist in dem Heron-Verlag tätig. Es handelt sich bei ihr um die Ehefrau des Referatsleiters 31 (Spionageabwehr). Der Heron-Verlag besteht bis heute, eine Geschäftstätigkeit übt er nach Angaben von Frau K. derzeit nicht aus. In der Albrechtstraße 43 befindet sich ebenfalls die Wohnung der Eheleute K., an deren Briefkasten ist ein Hinweisschild auf den Heron-Verlag vorhanden bzw. vorhanden gewesen. Der Telefonanschluss des Heron-Verlages stimmt mit dem Telefonan-schluss der Eheleute K. überein. Der Geschäftsführer des Heron-Verlages Stephan Seeberg war in der Heinrich-Mann-Straße 27 angemeldet. Es handelte sich hierbei um eine konspirative Wohnung, die mittlerweile aufgelöst worden sein soll. Diese Wohnung befand sich in unmittelbarer Nähe (25 – 30 Meter) der Landesgeschäftsstelle der CDU-Thüringen. In der konspirativen Wohnung eingehende Post (z. B. Kontoauszüge) wurden von Mitarbeitern des Amtes dort abgeholt. Es ist möglich, dass eine weitere konspirative Wohnung in Berlin existiert, es kann sich allerdings auch um die Privatwohnung von Herrn Dr. Roewer handeln. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass eine weitere Tarnfirma besteht. Der Heron-Verlag unterhält seit dem 22.07.1997 ein Geschäftskonto bei der Deutschen Bank – jetzt Bank 24 – in Erfurt. Auf dieses Konto soll auch die Stammeinlage in Höhe von 50.000,- DM eingezahlt worden sein. Die Kontonummer lautet: 1659796.
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Nach Angaben der Mitarbeiterin des Verlages sei sie in dem Heron-Verlag nicht angestellt. Ihre Wohnung sei lediglich als Ansprechpunkt benutzt worden. Ein Gehalt habe sie nicht erhalten. Für die Nutzung ihrer Wohnung sowie für Heizung, Strom, Fax etc. habe sie einen monatlichen Pauschalbetrag erhalten und als Verrechnungseinheit 25,- DM pro Stunde, wenn sie für den Heron-Verlag gearbeitet habe. Das Geld sei nicht ausbezahlt worden, sondern sie habe als Gegenleistung einen Computer im Wert von ca. 4.000,- DM erhalten und diesen Betrag dann abgearbeitet. Etwa Ende 1998 sei der Computer bezahlt gewesen. Es sei dann ein zweiter Computer angeschafft worden, der etwas unter 4.000,-DM im Anschaffungspreis gelegen habe. Auch diesen habe sie (teilweise) abgearbeitet und den verbleibenden Restbetrag in Höhe von 1.200,- DM für den Computer an den Heron-Verlag bar in die Kasse gezahlt und diesen Betrag selbst quittiert. Herr Dr. Roewer habe zu dieser Verfahrensweise seine Zustimmung erteilt.
7.2
Der Heron-Verlag wurde ursprünglich vermutlich als nachrichtendienstliche
Tarnfirma gegründet. Es waren zum Zeitpunkt der Gründung nur wenige Mitar
beiter des Amtes (Präsident, Referatsleiter 31 sowie eine Referentin) über den
j\ Verlag und-4essefirDBtails eingeweiht. Später zumindest zwei weitere Perso-
\ nen, die^Referatsleiterin 2ß und der Referatsleiter 25. Die Beamten der Fach-
aufsichkvvaj^ennicjTlJ^^ ob der Minister a.D. Dr. Dewes informiert wor-
Q den ist, isTnicnfbekannt. Im Laufe der Zeit war es innerhalb des Amtes ein offenes Geheimnis, dass es sich um eine Firma mit direktem Bezug zu dem Amt handelte.
Hinsichtlich des konkreten Gründungszwecks gibt es unterschiedliche Darstellungen:
Der Heron-Verlag sei gegründet worden, um Fachveröffentlichungen des Amtes im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit ohne Genehmigung der Fachaufsichtsbehörde vornehmen zu können. Anlass sei eine Kontroverse zwischen dem Präsidenten und dem Abteilungsleiter 2 des TIM über Veröffentlichungen des Amtes gewesen.
Ziel sei die Öffentlichkeitsarbeit des Amtes gewesen. Es habe sich um eine Tarnfirma mit operativem Hintergrund (MfS und Spionage) gehandelt und um selbst zu Wort kommen zu können.
Die Absicht der Verlagsgründung habe darin bestanden, eine Tarnfirma für nachrichtendienstliche-Ansprachen zu installieren. Man habe Nachrichtendienstler ködern wollen, um ihre Lebensgeschichte abzuschöpfen und diese zu veröffentlichen. Die Nähe zum Amt sei beabsichtigt gewesen.
Der Verlagsgründungszweck habe allein darin bestanden, von einem ehemaligen MfS-Mitarbeiter ein Manuskript seiner Lebensgeschichte mit Personenangaben und sonstigen Hinweisen aus dem MfS-Bereich zu erhalten, das je-
fi“ft I m. m #9 PiFS WE-PA Weimar Erinnert – Die Parallelaktion
Katalog der Aktionen von: H. Eberle, S. Postel, J. Postel,
H. Roewer, C. Timpel
1999, ISBN 3-9806080-5-0
Jugendlicher Extremismus mitten in Deutschland Szenen aus Thüringen
Autor: R. Seela < 2000, VHS – Videokassette. Bei der durchgeführten Prüfung der Vorgänge durch Befragungen konnte nicht festgestellt werden, dass der Heron-Verlag in der Folgezeit für irgendeine weitere nachrichtendienstliche Operation eingesetzt worden ist. Die ab September 1999 als Referatsleiterin des Referates 32 (Aufklärung fortwirkender Strukturen) tätige Mitarbeiterin wurde über die Tarnfirma nicht offiziell informiert, was bei einer Tätigkeit des Heron-Verlages in dem Bereich. MfS hätte sicherlich geschehen müssen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass eine Änderung des Gründungszweckes nach der gescheiterten Veröffentlichung des Manuskripts erfolgte und dieser nur noch der Öffentlichkeitsarbeit des Amtes und für die aufgeführten Veröffentlichungen dienen sollte. Für nachrichtendienstliche Operationen war der Heron-Verlag – ungeachtet der während der Befragungen vereinzelt geäußerten Auffassung, dieser sei später aus dem Amt heraus verraten worden – absolut ungeeignet. Dies erschließt sich ohne weiteres aus den in dem Heron-Verlag erschienenen Werken und deren Themen sowie den Autoren, deren Bezug zu dem Amt z. T. leicht erkennbar war. Zudem W «S ™ 1% ‚&ä ä ItJi/ Cüwiiü tL> i; Ci i i w ii W^- vi tJ b tLui (La ‚La .
21
ergibt sich z. B. aus Band 1 des Umschlagstextes in nicht zu überbietender Deutlichkeit „Die Idee zu Demokratie im Diskurs stammt aus dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz“ der Hintergrund des Heron-Verlages.
Berücksichtigt man des Weiteren die leichte Enttarnbarkeit der Eheleute K. wegen der einfach zu ermittelnden unmittelbaren Verbindungen zu dem Heron-Verlag und des Geschäftsführers Stephan Seeberg aufgrund der häufigen Auftritte des Leiters des LA/ in der Öffentlichkeit mit Lichtbildwiedergaben in der Presse und seiner eigenen Veröffentlichungen in dem Heron-Verlag, so kann man nur zu dem Ergebnis gelangen, dass der Heron-Verlag bei seiner Gründung zwar durchaus einen nachrichtendienstlichen Sinn hätte haben können, dieser jedoch sehr bald verloren gegangen ist. Es handelte sich ganz offensichtlich um eine anlassbezogene Einzelfallgründung, deren Zweck mit der gescheiterten Veröffentlichung des Manuskripts des ehemaligen MfS-Mannes entfallen war. Der Verlag hätte daher alsbald nach der Gründung wieder liqui- I „\ diert werden müssen. Die vorliegend verantwortlich handelnden Personen hat- ‚ ten sich die Frage stellen müssen, ob es unter haushaltsrechtlichen und anderen rechtlichen Gesichtspunkten zulässig ist, den Heron-Verlag mit einem erheblichen Einsatz öffentlicher Mittel für Öffentlichkeitsarbeit des Amtes weiterhin zu betreiben. Hierbei tauchen Fragen dienstrechtlicher und strafrechtlicher (§ 266 StGB) Verstöße der verantwortlich handelnden Personen auf. Zur Klärung dieser Fragen bedarf es zusätzlicher Prüfungen, ob
die Aufrechterhaltung/Fortführung einer nachrichtendienstlich nicht mehr eingesetzten und nicht mehr einsetzbaren Tarnfirma und deren weitere Verwendung für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit des Amtes oder gar zur persönlichen Darstellung von Personen des Amtes von der gesetzlichen Aufgabenstellung des LA/ umfasst wird
haushaltsrechtliche Bestimmungen der Mittelverwendung, das Gebot des sparsamen und wirtschaftlichen Umgangs mit öffentlichen Mitteln, das Gebot der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit beachtet worden sind (Anmerkung: Für die Herausgabe von fachlichen Publikationen bedarf es keines eigenen Verlages. Dies lässt sich über entsprechende Ausschreibungen und Fremdvergabe sicherlich kostensparender erledigen)
der Haushaltsausschuss des Thüringer Landtages über diese Verfahrensweise informiert war und diese gebilligt hatte
der Thüringer Landesrechnungshof bei der Haushaltskontrolle unterrichtet worden ist und dies akzeptiert hat.
Bei den Befragungen hat sich herausgestellt – ich verweise auf die Ausführungen unter Ziffer 4.1 -, dass die Fachaufsichtsbehörde des Thüringer Innenministeriums seitens des Behördenleiters des Amtes praktisch ausgeschaltet worden war, indem dieser ausschließlich dem Minister a.D. Dr. Dewes persönlich berichtete. Ob er diesen auch über den Heron-Verlag unterrichtet hat und ggf.
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R2
dessen Zustimmung einholte, ist nicht bekannt und bedürfte ggf. der gesonderten Prüfung. Herr Dr. Roewer hat in seiner Befragung angeführt, dass ihn Innenminister a.D. Dr. Dewes beauftragt hatte, bestimmte Dinge zu publizieren „und dies hätten sie getan“. Dies mag zwar zutreffen, stellt aber keine Rechtfertigung dar, da die Art und Weise der Ausführung einer politischen Vorgabe sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zu halten hat und sicherlich auch so gemeint war. Details der Umsetzung seitens der damaligen Leitung des TIM sind sehr wahrscheinlich nicht erfolgt. Im Übrigen unterliegt es keinem Zweifel, dass auch die politische Führung eines Ministeriums strikt an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden ist.
7,3
Die Finanzierung des Heron-Verlages ist unklar und bedarf weiterer Ermittlungen, die aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich waren. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil der erforderlichen Finanzmittel aus der Beschaffungskasse des Amtes stammten. Dabei dürfte das Konto bei der Sparda-Bank Berlin Nr. 2507510 (BLZ 12096597) lautend auf Stephan Seeberg oder Dr. Stephan Seeberg eine Rolle gespielt haben. Dieses Konto muss zeitnah gesichert werden.
Wie die finanziellen Transaktionen und zu welchem Zweck im Detail abgewik-kelt worden sind, konnte aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend ermittelt werden. Dies bedarf der gesonderten Überprüfung insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer ordnungsgemäßen Verwendung von Haushaltsmitteln. Die in dem Verlag erschienenen Werke wurden nach Angaben des Behördenleiters aus dem Titel „Anschaffungen für Schriften“ finanziert. Dieser Titel bedarf der Überprüfung unter dem Gesichtspunkt, ob hieraus lediglich Mittel für den Kauf der Druckwerke verwendet worden sind oder auch Personalkosten, Gemeinkosten, Kosten verlegerischer Tätigkeit etc. des Verlages einbezogen wurden einschließlich ggf. gezahlter Honorare an die Autoren. Ebenso bedarf es einer Überprüfung des nachrichtendienstlichen Titels des Amtes. Eine Überprüfung der Einhaltung sonstiger gesetzlicher Bestimmungen des Steuerrechts (z. B. Abführen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen für die Mitarbeiterin des Heron-Verlages Frau K. etc.) ist einzubeziehen. Zusätzlich ist zu prüfen, ob für die Druckwerke Erlöse erzielt worden sind und was mit diesen ggf. geschehen ist. Nach mehreren übereinstimmenden Angaben sollen die Druckwerke häufig verschenkt worden sein.
Darüber hinaus muss eine vertiefte Prüfung der Werkverträge des Amtes durchgeführt werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dem Heron-Verlag erhebliche Finanzmittel über eine Umwegfinanzierung durch Scheinwerkverträge von natürlichen Personen (teilweise unter Tarnnamen) mit dem LfV zugeflossen sind. Dies geschah wohl in der Weise, dass seitens des Amtes Werkverträge mit Autoren für die Erstellung wissenschaftlicher Arbeiten zu bestimmten Themen geschlossen worden sind. Hierbei wurden erhebliche Honorare für die Erbringung der Leistungen vereinbart. Ich greife hier drei ermittelte Fälle heraus:
¥S™läjr für dem Dienstgebrauch
23
– Einem Mitarbeiter des Amtes wurde von der Referatsleiterin 23 gesagt, dass
für eine nachrichtendienstliche Angelegenheit ein Betrag in Höhe von
30.000,- DM an Herrn Stephan Seeberg auf ein Konto bei der Sparda-Bank
Berlin überwiesen werden müsste. Die Kontonummer sowie der Überwei
sungsempfänger wurden ihm schriftlich übergeben. Es wurde zwischen ihm
unter seinem Tarnnamen Karlheinz Fedler und dem LfV (Zeichnung Dr.
Roewer) ein Werkvertrag geschlossen. Der Mitarbeiter des Amtes sollte ein
Skript mit dem Arbeitstitel „Der nahtlose Wechsel zwischen den Extremen -
Beschaffung, Komplementierung, Überarbeitung des Lebenslaufes und der
Ausarbeitungen der Herta T.“ erstellen. Als Vergütung war der angeführte
Betrag von 30.000,- DM vereinbart. Der Mitarbeiter des Amtes hat nach sei
nen Angaben keine Leistung zur Erfüllung des Werkvertrages erbracht. Die
Referatsleiterin 23 hat ihm am 18.12.1997 30.000,- DM in bar mit der Anwei
sung übergeben, diesen Betrag in zwei Tranchen zu jeweils 15.000,- DM auf
das von ihr aufgeschriebene Konto des Stephan Seeberg bei der Sparda-
Bank Berlin zu überweisen. Dies sei von dem Mitarbeiter so ausgeführt wor
den, wobei er sich missbraucht fühle.
Wohin dieses Geld letztlich gelangt ist, müsste anhand der Kontoauszüge des Kontos bei der Sparda-Bank und der Geschäftsunterlagen des Heron-Verlages im Detail ermittelt werden.
Von einer anderen Mitarbeiterin des Amtes (Tarnname Constanze Steinmann) wurde seitens des Präsidenten persönlich verlangt, dass sie einen Werkvertrag über die Anfertigung einer Arbeit mit dem Titel „Unbekannte Mitarbeiterstrukturen der BV Erfurt des ehemaligen MfS der DDR“ unterzeichne, was auch geschah. Das Honorar betrug 35.000,- DM. Sie habe keinerlei Leistung erbracht, keinen Zwischenbericht angefertigt und das Honorar auch nicht erhalten. Was damit geschehen sei, wisse sie nicht. Die Werkvertragsakte Steinmann weist aus, dass die Leistung erbracht worden ist.
Aus den ausgewerteten Unterlagen ergibt sich weiterhin, dass zwischen dem LA/ und Herrn Stephan Seeberg (Tarnnamen von Herrn Dr. Roewer) zwei Werkverträge geschlossen worden sind. Ein Werkvertrag stammt vom 01.06.1997 und führt als Thema einer wissenschaftlichen Studie an „Die Diversifikation der extremistischen Spektren in der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 90er Jahre – Ursachen und Schlussfolgerungen“. Es ist eine Vergütung in Höhe von 39.200,- DM vereinbart. Ein weiterer Werkvertrag lautet auf das Thema „Extremistische ‚Feiertage* – ein Szenekalender. Politisch-historische Hintergründe und aktuelle Bezüge“. Hier ist eine Vergütung in Höhe von 70.000,- DM vereinbart worden. Für beide Verträge ist in den Unterlagen vermerkt, dass die vertraglich festgelegten Leistungen erbracht worden sind und die Zahlungen erfolgten. Die in den Werkverträgen aufgeführten Studien waren in dem LfV nicht auffindbar. Die Überweisungen erfolgten ausweislich der Akte auf das Konto Stephan Seeberg bei der Sparda-Bank Berlin (Kontonummer 2507510). Wo diese Beträge letztlich angekommen sind, bedarf der
&s“w /*>“r*.r“,> : ■‘;
24
vertieften Prüfung unter Einbeziehung des Kontos bei der Sparda-Bank Berlin sowie der Geschäftsunterlagen des Heron-Verlages. Auffällig ist, dass sich in den Unterlagen ein weiterer Werkvertrag vom 30. Oktober 1997 zur Erstellung eines Skripts mit dem Titel „Extremistische ‚Feiertage‘ – ein Szenekalender. Politisch-historische Hintergründe und aktuelle Bezüge“ mit einem Herrn Christoph Katzenberger und dem Amt und einer festgelegten Vergütung in Höhe von 8.000,- DM befindet. Ausweislich der Vertragsunterlagen wurde ein Abschlag in Höhe von 2.000,- DM (Vortrag) überwiesen und unter dem 02.01.1998 ist vermerkt, dass die vertraglich festgelegten Leistungen mit Zahlung der letzten Rate und Abgabe des Endberichtes in vollem Umfang erbracht worden sind. Auch dieser Vorgang bedarf weiterer Überprüfung.
Mit dem Autor Ploenus (Tarnname vermutlich Egon Seren) sind insgesamt 6 Werkverträge mit einer Gesamtsumme in Höhe von 79.500,- DM abgeschlossen worden. In der Akte sind lediglich Zwischenberichte vorhanden. Ob die It. der Werkverträge geschuldeten Leistungen erbracht worden sind, ließ sich nicht feststellen. Ob dem Autor die Honorare in dieser Höhe tatsächlich zugeflossen sind, bedarf der gesonderten Überprüfung.
Der Werkvertrag „Hies“ (Tarnname) zu dem Thema „Empirischer Erkenntnisgewinn bei der Werbung und Abschöpfung von Quellen“ mit einer Honorierung in Höhe von 30.000,- DM sollte ebenfalls vertieft überprüft werden. Auffällig sind des Weiteren aufgrund der Höhe der Beträge die Werkverträge Schlegel und der Werkvertrag zwischen dem LfV und dem Heron-Verlag zur Herstellung eines Films zur jugendlichen Gewaltszene in Thüringen vom 07.07.1998. Der Videofilm wurde seitens der Jena TV hergestellt und dem Heron-Verlag ist als Produktionskostenzuschuss ein Betrag in Höhe von 95.000,- DM zugeflossen. Die Mitarbeiterin des Verlages Frau K. sprach hingegen von 35.000,- DM. Die hierfür erbrachte Leistung erscheint im Verhältnis zu dem gezahlten Entgelt unangemessen hoch. In dem Werkvertrag sind unter Ziffer 5 Nebenabreden zu einem „Heimatfilm“ angeführt, möglicherweise handelt es sich hierbei um ein weiteres Projekt. Es ist im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass es sich um einen Teilscheinvertrag handelt. Des Weiteren sollten die Werkverträge Eberle und Uhl einer genaueren Überprüfung unterzogen werden. Die Verträge Eberle fallen durch die Höhe der Zuwendungen (z. T. monatliche Zahlung) auf, die Werkverträge Uhl (vermutlich ein Tarnname) könnten unter dem Gesichtspunkt problematisch sein, dass Herr Uhl ständig Reisen nach Russland durchführen soll und dort angeblich die geöffneten KGB-Archive durchforstet. Dies wäre unter nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten zwar möglicherweise interessant, jedoch ist der Aufgabenbereich des LfV gesetzlich festgelegt. Sollte es sich um eine versteckte Auslandsaufklärung handeln, so wäre dies zu unterbinden.
Abschließend ist zu dem Komplex Heron-Verlag anzuführen, dass die mit dem Heron-Verlag befassten Referatsleiter 23, 25 und 31 keinerlei Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Unterzeichner gezeigt haben, vielmehr Versuche der
Mm für den Dienstgebrauch
25
Desinformation erfolgten. Dies hat die Untersuchung der Vorgänge verzögert. Es sollte ihnen bei einer förmlichen Anhörung Gelegenheit gegeben werden, ihre tatsächlichen Kenntnisse dem Dienstherrn darzulegen. In verstärktem Maße trifft dies auf Herrn Dr. Roewer zu, der keine Beiträge zur Aufklärung geleistet hat und überwiegend auf die Akten verwies.
8. Zusammenfassung, Empfehlungen
Die durchgeführten Untersuchungen haben die Probleme des Amtes und die Ursachen für dessen Funktionsstörungen sehr deutlich zu Tage treten lassen. Diese sind in den letzten Jahren entstanden und durch eine Reihe von Maßnahmen behebbar. Die volle Funktionsfähigkeit des Amtes ist dadurch wiederherstellbar.
Ich fasse die wesentlichen Punkte wie folgt zusammen:
Aufgrund der Ergebnisse der untersuchten Vorgänge sollten personelle Veränderungen auf der Leitungsebene sowie der Referatsleiterebene geprüft werden.
Es wird empfohlen, die Organisationsstruktur des LA/ zu ändern. Das Amt sollte wieder in vier Abteilungen gegliedert werden, wie dies bis 1995 der Fall war. Sollte dies aus Haushaltsgesichtspunkten ausscheiden, sollten bei dann verbleibenden drei Abteilungen die Bereiche Nachrichtenbeschaffung und -auswertung strikt getrennt werden.
Es wird empfohlen, dass das Referat 22 (Rechtsextremismus) aus fachlichen und allgemeinpolitischen Gründen wieder als selbstständiges Referat gebildet wird.
Das aufgelöste Referat 24 (Forschung und Werbung) sollte aus fachlichen Gründen wieder gebildet werden.
Es wird empfohlen, das aufgelöste Referat 14 (Observation, Technik, Personenschutz) aus fachlichen Gründen wieder zu bilden und einer Fachabteilung zu unterstellen. Die Observationskräfte sollten diesem Referat unterstellt werden, das auch über deren Einsatz entscheidet. Die Observati-onsmitarbeiter sollten möglichst außerhalb des Dienstgebäudes Haarbergstraße 61 untergebracht werden.
Es wird empfohlen, dem LA/ die zügige Erstellung eines Geschäftsverteilungsplanes aufzugeben.
Es wird empfohlen, die seit Jahren unbesetzte Stelle des Abteilungsleiters 3 (Nachrichtendienste/Geheimschutz) zügig zu besetzen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch den Präsidenten des Amtes erscheint untun-
va-tNur für cIgüi Dierosfgeib- lieh. Dieser sollte sich auf Leitungsfunktionen sowie die Dienst- und Fachaufsicht beschränken und selbst nicht operativ tätig werden.
Es wird empfohlen, außerhalb der operativ tätigen Referate einen aus drei wissenschaftlichen Angestellten bestehenden wissenschaftlichen Dienst/Dokumentation einzurichten.
Es wird empfohlen, die Liquidation des Heron-Verlages alsbald durchzuführen und die finanziellen Transaktionen der Gesellschaft einer vertieften Prüfung durch den Landesrechnungshof zu unterziehen.
Es wird empfohlen, das LfV anzuweisen, für jeden Angestellten eine exakte Tätigkeitsbeschreibung vorzunehmen und die bisherigen Einstufungen nach dem BAT kritisch zu überprüfen und ggf. anzupassen. Ebenso sollten für die Beamten genaue Dienstpostenbeschreibungen erstellt werden und die bisherigen Einstufungen sollten überprüft und ggf. angepasst werden. Es ist z. B. nicht nachvollziehbar, dass ein Mitarbeiter 10 Jahre nach der Wiedervereinigung mit der Qualifikation eines Ingenieurstudiums als Regierungsobersekretär eingestuft ist und ein Diplomingenieur für Elektronik als Regierungsoberinspektor.
Es wird empfohlen, dass die operativ tätigen Mitarbeiter des LfV angewiesen werden, künftig keine Personen der Führungsebene extremistischer Organisationen als V-Leute zu führen.
Es wird empfohlen, die Dienst- und Fachaufsicht seitens des Thüringer Innenministeriums gegenüber dem LfV durch die zuständige Abteilung straff und konsequent auszuüben. Hierfür sollten ggf. Richtlinien erarbeitet werden, die die Berichterstattung regeln und eine unmittelbare Berichterstattung des Behördenleiters des LfV gegenüber der Leitungsebene des TIM nur im Ausnahmefall gestattet. Die Berichterstattung sollte im Übrigen gegenüber der Fachabteilung grundsätzlich schriftlich erfolgen.
Es wird empfohlen, den bisherigen Status des LfV als obere Landesbehörde beizubehalten. Eine unmittelbare Anbindung an das TIM erscheint nicht zweckmäßig.
(Dr. Gasser)

Ein Gedanke zu „Untersuchungsbericht über in den Medien dargestellte Vorgänge in dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und deren Auswirkung auf die Funktionsweise des Amtes

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